Beruf und Ehrenamt vereinen
Die Frage, ob das System der freiwilligen Feuerwehr angesichts einer digitalisierten und flexiblen Arbeitswelt zukunftsfähig und leistungsstark bleibt, stellt viele Wehren vor Herausforderungen. Die Freiwillige Feuerwehr Schwalbach, zuständig für über 15.000 Einwohner in dem Vorort von Frankfurt am Main, hat dafür eine innovative Lösung gefunden und wurde dafür mit dem IF-Star 2024 ausgezeichnet.
Die Feuerwehr in Schwalbach kämpft – wie viele andere – mit stetig steigenden Einsatzzahlen und Anforderungen. Hinzu kommt ein Feuerwehrhaus, das den heutigen Ansprüchen nicht mehr gewachsen ist. Ein weiteres Problem: Ein Großteil der Einsatzkräfte arbeitet tagsüber außerhalb der Stadtgrenzen. Dies reduziert die sofortige Verfügbarkeit für den Tagesalarm. Insgesamt ist sie als Feuerwehr aber personell gut aufgestellt, wobei die Altersgruppe bis 30 Jahre die größte und aktivste Teilgruppe der Mannschaft darstellt (Grafik 1).

Die Kernidee war die Einrichtung einer Homeofficeund Kreativ-Zone in modern ausgestatteten Büroräumen im Feuerwehrhaus (Bild 1).
Die Einsatzkräfte können dort ihrer regulären beruflichen Tätigkeit (Homeoffice) oder universitären Arbeit nachgehen und stehen durch ihre Anwesenheit im Feuerwehrhaus kurzfristig für den Tagesalarm zur Verfügung (Grafik 2).


Ziel ist es, die bestehenden Mitglieder stärker an die Feuerwehr zu binden und die allgemeine Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Gleichzeitig dienen die Räume bei Großschadenslagen zur Einsatzdisposition und Stabsarbeit sowie als Kreativraum für interne Projekte. Vorteile für alle Beteiligten Eine interne Evaluation zeigte, dass nur wenige der 18bis 30-jährigen Einsatzkräfte über ein geeignetes eigenes Arbeitszimmer verfügen, aber die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten hätten. Durch die Schaffung professioneller Coworking-Arbeitsplätze im Feuerwehrhaus profitiert eine breite Masse:
• Die Feuerwehr gewinnt tagsüber sofort verfügbare Einsatzkräfte.
• Die Einsatzkräfte erhalten einen professionell ausgestatteten, ergonomischen Arbeitsplatz. Dies ist besonders für jene wichtig, die sonst vom Esszimmertisch oder Sofa arbeiten müssten.
• Die Arbeitgeber profitieren von einem angemessenen Homeoffice Arbeitsplatz für ihre Angestellten.
• Die Bevölkerung profitiert von einer leistungsstärkeren und schnelleren Feuerwehr.
• Prävention von Wegeunfällen bei der Anfahrt zum Feuerwehrhaus im Einsatzfall wird unterstützt (Grafik 3).
• Mitgliederbindung: Die Maßnahme soll Anreize bieten, der Feuerwehr erhalten zu bleiben, auch bei Abwanderung in günstigeres Umland.

Umsetzung und Betrieb
Um die benötigten 47 m2 für insgesamt sechs Schreibtische (einsatztaktisch optimierte Anzahl) zu gewinnen, wurden vorhandene, anders genutzte Räumlichkeiten kritisch analysiert und umfunktioniert (z. B. Zusammenlegung von Büroräumen und Nutzung eines ehemaligen Lagers (Bild 2)). Die Finanzierung erfolgte durch die Stadt und den Förderverein, wobei nichtfachspezifische Umbaumaßnahmen in Eigenleistung der Mitglieder erfolgten.
Besser als zu Hause
Die Technik an den Wechselarbeitsplätzen wurde so gewählt, dass sie unabhängig von Betriebssystem und Hersteller funktioniert und sowohl für rechtsals auch linkshändige Personen geeignet ist. Wert gelegt wurde auf eine Ausstattung, die von den Einsatzkräften als besser oder gleichwertig zu dem wahrgenommen wird, was zu Hause oder im Büro vorhanden ist, sowie auf eine Arbeitsatmosphäre, in der man gerne arbeitet. Für die kreative Nutzung als Unterrichtsoder Projektraum sind beide Räume mit beschreibbaren Wänden und Fernsehern ausgestattet worden, auf denen Präsentationen, Lagestabskarten oder allgemeine interne Infos angezeigt werden können.
Unkomplizierte Nutzung
Die Homeoffice und Kreativ-Zone wurde zum Jahreswechsel 2023/24 in Dienst gestellt. Für die Nutzung hat die Feuerwehr möglichst wenige Vorgaben an ihre Mitglieder gestellt: Jede Einsatzkraft darf die Räume nutzen, unabhängig vom Stand der Ausbildung und unabhängig davon, ob sie ihr Homeoffice an den Arbeitsplätzen macht, für die Feuerwehr arbeitet oder diese privat nutzt. Die einzigen Maßgaben sind, dass sich die Nutzenden nicht gegenseitig stören, dass die Arbeitsplätze wieder sauber hinterlassen werden und dass sie nicht annektiert werden. Auf ein Reservierungssystem wurde bewusst verzichtet.
Nach über einem Jahr im Betrieb zeigt sich, dass die Räume insgesamt gut angenommen werden – im Schnitt arbeiten montags bis freitags tagsüber drei bis vier Einsatzkräfte pro Tag in den Räumlichkeiten. Viele nutzen die Räume auch nur halbtags oder für einige Stunden. Selbst Einsatzkräfte, die in der zuvor angefertigten Evaluation angegeben hatten, dass sie die Räume eher nicht nutzen werden, um von dort aus zu arbeiten, nutzen sie nun regelmäßig, weil sie die Arbeitsatmosphäre schätzen. Durch das gemeinsame Arbeiten im Feuerwehrhaus hat sich auch das soziale Miteinander noch einmal weiter verbessert. So wird mittags gemeinsam gekocht und gegessen, beim Kaffee geplaudert oder nach Feierabend spontan eine Runde zusammen Sport gemacht.
Auch bei gemeldeten Extrem-Wetterlagen wie starkem Schneefall wurde seitens der Feuerwehr-Führung veranlasst, dass diejenigen, die es ermöglichen können, aus dem Feuerwehrhaus heraus arbeiten sollen. Dies ist in solchen Fällen sinnvoll, weil der Rettungsdienst wetterbedingt länger zur Einsatzstelle brauchen könnte und so die örtliche Feuerwehr schneller an der Einsatzstelle sein kann, um rettungsdienstliche Erstversorgung zu gewährleisten – sogenannte First-Responder-Einsätze.
Ist die Feuerwehr hierdurch schneller?
In Hessen ist gesetzlich geregelt, dass eine Feuerwehr so aufzustellen ist, dass sie „in der Regel zu jeder Zeit und an jedem Ort ihres Zuständigkeitsbereichs innerhalb von zehn Minuten nach der Alarmierung wirksame Hilfe einleiten kann“ (§ 3 Abs. 2 HBKG). Hierbei spricht man von der Hilfsfrist. Wirksame Hilfe im Sinne des Gesetzes ist ein Löschfahrzeug mit mindestens sechs Feuerwehrleuten an der Einsatzstelle, der Zuständigkeitsbereich ist das jeweilige Stadtgebiet, wozu aber auch die nicht bebaute Fläche (bspw. Landstraßen) zählt. Für freiwillige Feuerwehren in Hessen bedeutet das, dass ab der Alarmierung jede Sekunde zählt. Dann müssen die Einsatzkräfte von dort, wo sie sich gerade aufhalten, zum Feuerwehrhaus fahren, sich umziehen und auf ausreichend Personal warten, um dann innerhalb von zehn Minuten ab der Alarmierung an der Einsatzstelle zu sein. Allerdings ist nie gewährleistet, wo sich die Mitglieder der Feuerwehr zum Zeitpunkt der Alarmierung aufhalten, somit können die Ausrückzeiten einer freiwilligen Feuerwehr stark schwanken.

Eine Auswertung der tagsüber (Mo–Fr, 07:00 – 17:00 Uhr) erfolgten Einsätze in den letzten fünf Jahren zeigt, dass die durchschnittliche Zeit bis zum Ausrücken des ersten Fahrzeugs in den Jahren 2024 und 2025 um 20 bis 30 Sekunden niedriger lag als in den Jahren 2021 bis 2023. Eine Langzeitanalyse über zehn Jahre bestätigt, dass die durchschnittliche Ausrückzeit in 2024/2025 bei 3:30 Minuten lag, gegenüber 3:51 Minuten im Zeitraum 2013 bis 2023 (Grafik 4). Obwohl die Auswertung zeigt, dass seit der Einführung der Coworking-Fläche eine Verbesserung der Ausrückzeiten eingetreten ist, ist es schwierig, eine belastbare, monokausale Aussage zu treffen, da die Ausrückzeiten historisch starken Schwankungen unterlagen (bis zu 1:20 Minuten Differenz zwischen einzelnen Jahren). Die Verfügbarkeit zusätzlichen Personals im Feuerwehrhaus ist aber sicherlich ein begünstigender Faktor.

FAZIT
In einem Feuerwehrhaus eine multifunktionale Fläche zu schaffen, auf der die Einsatzkräfte tagsüber für ihren Arbeitgeber arbeiten können und gleichzeitig der Feuerwehr für den Tagesalarm in Bereitschaft zur Verfügung stehen, bietet viele Vorteile. Erste Analysen zeigen eine Verbesserung der Ausrückzeiten in den Jahren seit der Einführung. Auch die Gefahr von Wegeunfällen bei der Anfahrt zum Feuerwehrhaus kann minimiert werden. Darüber hinaus wird die Gesunderhaltung der Einsatzkräfte gefördert, weil denjenigen, die zu Hause keinen angemessenen Büroarbeitsplatz haben, ein solcher zur Verfügung gestellt werden kann. Nicht zuletzt stärkt es das soziale Miteinander der Einsatzkräfte.
Dass das Projekt ein guter und neuartiger Ansatz ist, zeigt nicht zuletzt die Auszeichnung mit dem IF Star 2024, mit dem die öffentlichen Versicherer gemeinsam mit dem Deutschen Feuerwehrverband (DFV) innovative Ideen im Feuerwehrdienst auszeichnen. Die Feuerwehr Schwalbach ist stolz auf die Auszeichnung und freut sich, mit der Idee anderen Feuerwehren ein Vorbild zu sein. Für die Wehr selbst spielen auch die einsatztaktische Komponente und die Chance, hierüber Personal an die Feuerwehr zu binden, eine entscheidende Rolle.
